Arbeitgeber suchen intelligente Mitarbeiter. Hochbegabte aber stoßen in den meisten Unternehmen auf Schwierigkeiten.

Die Zeit/ Was Besseres als das Auswärtige Amt hätte Katharina Bonnenfant nicht passieren können. Im Juli hat die 31-Jährige als Referentin für Internationales Wirtschafts- und Patentrecht in der Berliner Behörde angefangen. In drei Jahren wird sie, wie alle im Amt, in eine andere Abteilung wechseln, sich noch einmal vollkommen neu einarbeiten müssen. Permanente Veränderungen gehören im Auswärtigen Amt zum normalen Karriereverlauf. Was für gewöhnliche Arbeitnehmer eher eine verschreckende Stellenbeschreibung wäre, bedeutet für Bonnenfant Abwechslung und Stimulation. »Deshalb arbeiten relativ viele von uns im Auswärtigen Amt«, sagt sie. Mit »uns« meint sie die Hochbegabten.

Katharina Bonnenfant gehört zu rund eineinhalb Millionen Deutschen, zwei Prozent aller Bundesbürger, deren Intelligenzquotient über einem Wert von 130 liegt und die deshalb als hochbegabt gelten. Die Bildungspolitik hat längst erkannt, dass Hochbegabte eine volkswirtschaftliche Ressource sind, auf die bisher niemand wirklich gesetzt hat. Vor allem in konservativ regierten Bundesländern wie Hessen und Sachsen »geht das Thema seit rund 15 Jahren richtig ab«, sagt Heinz-Werner Wollersheim, der an der Universität Leipzig den Lehrstuhl »Begabungsforschung und Kompetenzentwicklung« leitet. Immerhin gibt es für die rund 300 000 hochbegabten Kinder inzwischen recht vielfältige Förderangebote, Spezialgymnasien zum Beispiel.

Hochbegabte Erwachsene aber bleiben nach wie vor ein kaum beachtetes Randphänomen. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass nur wenige von ihnen sich selbst als hochbegabt sehen und es sich noch seltener durch einen IQ-Test bestätigen lassen - also schlicht nicht wahrgenommen werden. Zum Schaden der Hochbegabten im Beruf wie auch der Unternehmen, die dieses Potenzial nicht nutzen. »Der Begabungsbegriff spielt in der Personalentwicklung keine Rolle«, so Wollersheim.

Katharina Bonnenfant verrät nicht, wie intelligent sie ist. Als Mitglied der internationalen Hochbegabtenvereinigung Mensa hält sie sich an den gemeinsamen Kodex, nur von einem »IQ über 130« zu sprechen. Schon in der Schule hatte Bonnenfant eine enorme Lernfähigkeit, konnte schneller als ihre Mitschüler Vokabeln lernen und früh mit ihren Eltern politische Nachrichten analysieren. Sie studierte Jura und Politik und entschied sich für die Attaché-Ausbildung im Außenministerium - vor allem wegen der Aussicht auf geografische und thematische Abwechslung. »Ein Routinejob hätte mich eher abgeschreckt.«

»Unsere Gesellschaft treibt die Genies in den Wahnsinn«

Die Angst, gelangweilt und unterfordert einen Dienst nach Vorschrift absolvieren zu müssen
, kennen viele Hochbegabte. Nicht wenige von ihnen haben schon als Kinder erlebt, dass Unterforderung zu Langeweile und Frustration führt. Matthias Moehl, Vorsitzender der deutschen Mensa-Sektion, sieht deshalb in Katharina Bonnenfant ein gutes Beispiel dafür, wie Hochbegabte ihre Berufswahl angehen: Sie setzen auf Abwechslung. Moehl selbst war vor einigen Jahren noch in der IT-Branche tätig, heute arbeitet er in der Politik- und Wahlforschung. Er kennt einen Rechtsanwalt, der gleichzeitig im Opernfach tätig ist.

»Es gibt bei Hochbegabten eine große Neugier und zudem die Fähigkeit, sich sehr schnell in neue Wissensbereiche einzuarbeiten.« Trotzdem könne die ausgeprägte Wechsellust von Hochbegabten in anderen, weniger mobilen Berufen, zu ernsthaften Problemen führen, sagt Moehl. Dann nämlich, wenn sich die Flexibilität darin niederschlägt, sich »nicht auf eine Sache fokussieren zu wollen oder aufzuhören, wenn der intellektuelle Reiz einer Aufgabe weg ist«.
In vielen Branchen würden standardisierte Lösungen verlangt, sagt Moehl. Kommt der hochbegabte Angestellte auf kürzerem, nicht formalisiertem Weg zum Ziel, ergeht es ihm wie dem Schüler, der an der Tafel ein paar Schritte auslässt, da er sie im Kopf sowieso schon gegangen ist: Die Lösung wird angezweifelt. Moehl selbst hat erlebt, wie ihn ein Teamleiter »regelrecht für dumm erklärte«, weil er eine Prozessanalyse anders anging. Katharina Bonnenfant weiß, dass sie als Hochbegabte »einfach schneller denkt«. Deshalb sei es wichtig, »sich auf sein Gegenüber einzustellen und es in seine Gedankengänge einzubinden«. Ihre besondere Auffassungsgabe kommt ihr im Auswärtigen Amt allerdings eher entgegen. »Das internationale Recht hat oft sehr exotische Aufhänger, da sind ungewöhnliche Perspektiven geradezu notwendig.«

Karin Rasmussen allerdings kennt auch andere, weniger glückliche Berufsbiografien von Hochbegabten. So mancher stoße gerade aufgrund seiner Intelligenz im Beruf an seine Grenzen, sagt die 59-Jährige, die in ihrem Berliner Büro »Coachings für Hochbegabte« anbietet. »Das gängige Klischee, Genie liege nah am Wahnsinn, ist kompletter Blödsinn«, sagt Rasmussen. »Es ist nur so, dass unsere Gesellschaft Genies in den Wahnsinn treibt. Nicht, weil sie genial sind, sondern weil sie sich nicht anpassen.«

So verschieden ihre Coachings auch sind, die Probleme, die ihre hochbegabten Klienten in den Sitzungen schildern, ähneln sich: Leerlauf, Langeweile, Frustration, Kommunikationsprobleme. Da mag das »schnelle und sehr kompakte Reden«, das Rasmussen bei vielen Hochbegabten erlebt, noch das geringste Problem sein. Die meisten würden davon ausgehen, dass der Kollege im Büro über die gleiche Auffassungsgabe wie sie selbst verfüge. So entstehe immer wieder eine Stell-dich-nicht-so-an-Attitüde, »ohne dass es der oder die Hochbegabte überhaupt merkt«.
Auch eine Art Kassandrasyndrom werde immer wieder beschrieben: Weil Hochbegabte nicht selten die potenziellen Gefahren von Firmenstrategien voraussehen, gelten sie bei den Kollegen oft als »ewige Mahner« - und damit wenig teamfähig.

Im Coaching gehe es deshalb vor allem um zwei Dinge, sagt Rasmussen: »Den Hochbegabten mehr Verständnis für die Denkprozesse der anderen zu ermöglichen. Und mit der Denke aufzuhören, dass mit einem selbst etwas nicht stimmt.« Dabei wäre Hochbegabten oft schon geholfen, wenn sie in den Unternehmen mehr Anerkennung erfahren würden. »Mehr als andere wollen Hochbegabte, dass ihre Leistungen geschätzt werden«, sagt Olaf Juergens, der sich in Bonn als Headhunter für Firmen auf die Suche nach besonders begabten Talenten macht.
»Ein gewöhnlicher Arbeitnehmer ist tendenziell eher bereit, eine für ihn anspruchslose Tätigkeit zu akzeptieren, wenn nur das Geld stimmt.« Personalentwicklern rät Juergens, »die Hochbegabten einfach zu fragen, an welcher Stelle sie meinen, für das Unternehmen die beste Leistung bringen zu können«. Die Hochbegabten könnten das in aller Regel selbst am besten beurteilen.

(Quelle: DIE ZEIT v. 03.11.2011 T. TRAPPE)